In den letzten Wochen gab es wohl kaum einen Menschen in Deutschland über den ich mich so sehr aufregen musste wie über Thilo Sarrazin und seine unsäglichen Thesen. Des öfteren war ich versucht, mir an dieser Stelle darüber Luft zu verschaffen, muss mich hier aber über mich selbst ärgern, da ich es persönlicher Bequemlichkeit meist unterlassen habe (bis auf eine Ausnahme).
Aber heute ist mir mal wieder der Kragen geplatzt. Anlass war diesmal nicht Sarrazin selbst, sondern einer seiner Trittbrettfahrer, der mal wieder - natürlich in einem Springer-Blatt (wo sonst) - sein Gift versprühen durfte. Gemeint ist Ralph Giordanos heutiger Beitrag in der Welt-Online: Die Gutmenschen und die dunklen Seiten des Islam. Er gibt hier 10 Thesen zum besten, warum seiner Meinung Sarrazin Recht hat. Ich werde mir hier erlauben, jede einzelne dieser Thesen zu wiederlegen oder zu entkräften um ein weiteres mal zu zeigen, dass er nicht Recht hat.
- Giordano benutzt hier einen ganz simplen und ziemlich schmutzigen rhetorischen Trick. Er nimmt eine einzelne Aussage der Gegenseite und stellt diese als falsch dar. In seiner verdrehten Logik sind daher alle Aussagen der Gegenseite falsch und alle eigenen Aussagen ergo automatisch richtig. Das diese "logische" Verknüpfung offensichtlich falsch ist versteht sich eigentlich von selbst.
- Der gleiche Trick leicht abgewandelt. Hier wird der Gegenseite die Unterlassung einer Handlung vorgeworfen (natürlich ohne den Nachweis zu erbringen, dass diese Unterlassung tatsächlich stattfindet). Zusätzlich wird emotionalisiert durch Begriffe wie "Ehrenmorde". Da die Gegenseite also angeblich nicht handelt sind offensichtlich alle eigenen Handlungen legitim.
- Hier wird Giordano spezifischer am Beispiel von Moschee, die nach islamischen Eroberern benannt wurden. Hier fallen mir doch gleich Gegenbeispiele ein wie Karl der Große - als Kaiser Repräsentant der weltlichen Macht der katholischen Kirche und zweifellos ein großer Eroberer. Oder Queen Elisabeth I. - eine Sekularisiererin, die die Position der anglikanischen Kirche in Großbritannien verfestigt hat, die mit ihren Eroberungen den Grundstein für das britische Commonwealth gelegt hat und auf deren Konto auch dunkle Kapitel gehen wie z.B. Akte der Piraterie. Beide waren auch nicht eben berühmt für ihren toleranten Umgang mit Andersgläubigen. Trotzdem steht einer öffentlichen Verehrung dieser Persönlichkeiten (z.B. Karlspreis) offensichtlich nichts im Wege.
- Hier geht es um Aiman Mayzeks Aussage, die Scharia sei mit dem Grundgesetz vereinbar. Nun geht Giordano natürlich automatisch davon aus, dass diese Aussage wiederum grundsätzlich falsch ist und die deutsche Rechtordnung wohl dadurch untergraben werde. Tatsächlich lässt sich diese Aussage jedoch auch genau anderherum deuten, nämlich das der Zentralrat der Muslime in Deutschland das deutsche Grundgesetz uneingeschränkt akzeptiert und respektiert und das eine zeitgemäße, weniger fundamentalistische Auslegung der Scharia (der Gesetze des Islam) diesem nicht wiedersprpricht. Diese Auslegung der Aussage erscheint mir persönlich doch wesentlich plausibler. Wenn das nicht ein großartiges Beispiel ist für einen aktiven Versuch der Integration - und damit ein Gegenbeweis für Sarrazins These, die Muslime wollten sich gar nicht integrieren. Davon abgesehen gibt es mit der Ordre Public längst sogar eine Rechtsgrundlage für die Anwendung islamischen Rechts in Deutschland.
- Der Koran ruft auf zum töten Ungläubiger auf und der Islam ist eine unfriedliche/kriegerische Religion. Nun hat er es nicht genau so formuliert, denn damit käme er dem Straftatbestand der Volksverhetzung doch schon recht nahe. Die Aussage Giordanos bleibt aber die gleiche. Da stellt sich mir die Frage, ob Her Giordano schon mal einen Blick ins Alte Testament geworfen hat oder sich jemals mit der Geschichte der katholischen Kirche eingehender beschäftigt hat, die durchtränkt ist mit dem Blut "Ungläubiger". Herr Giordano - ziehen sie den Balken aus ihrem Auge. Die Hassprediger des Islam repräsentieren nicht den Islam in seiner Gesamtheit - eben so wenig wie die Inquisition oder Aufrufe amerikanischer Hetzprediger zur Koranverbrennung für den Christlichen Glauben stehen.
- Die Furcht vor der schleichenden Islamisierung soll endlich als demoskopische Realität wahrgenommen werden. Hier hat Giorano ausnahmsweise recht, denn tatsächlich stellt diese Furcht, geschürt durch gewisse Medien, eine große Gefahr für den öffentlichen Frieden dar. Eine ähnliche Furcht griff in Deutschland schon einmal um sich: Ende des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hier wurde die Angst vor der Verjudung der deutschen Gesellschaft durch Medien und Politiker geschürt bis "endlich" jemand eine "Lösung" dieses Problems präsentierte. Tatsächlich gab es daraufhin einen deutlichen Rückgang von ca. 500.000 auf nur noch ca. 20.000 Juden in Deutschland. Ich frage mich, ob den Hernn Giordano und Sarrazin eine ähnliche "Endlösung" der Islamfrage vorschwebt.
- Muslime in Deutschland bestehen auf ihrem Recht auf freie Ausübung ihrer Religion. Welche Unverschämtheit solange in der Türkei nicht das gleiche Recht herrscht. Ja, ja, sehr Giordano, schon recht. Am deutschen Wesen soll ja schließlich die Welt genesen. Oder meinen sie, man muss sich in Deutschland nicht an das hier gültige Recht halten und kann den Muslimen hier ihre freie Religionsausübung vorenthalten aufgrund der Rechtslage in der Türkei? Entschuldigung, aber mir wird gerade schlecht.
- Herr Giordano behauptet, eine Diskussion über gewisse negative Aspekte islamischer Kultur fände in Deutschland nicht statt. Herr Giordano - haben sie in den letzten 10 Jahren nie Zeitung gelesen oder mal den Fernseher eingeschaltet? Diese Aussage ist schlicht falsch und reine Polemik. Und Entschuldigung, dass es noch andere als ihre Lieblingthemen gibt wie z.B. Atomkraft, Klimaschutz oder Finanzkrise.
- Hier wirft Giordano einfach mit ein paar Reizworten um sich ohne näher darauf einzugehen, was das mit der aktuellen Diskussion um Sarrazins Aussagen zu tun haben soll. Besonders bemerkenswert hier allerdings die Stichworte Antisemitismus und Nationalismus - wer redet denn hier von Judengenen und dem Untergang Deutschlands? Das ist doch wohl Herr Sarrazin.
- Nochmal der gleiche rhetorische Kniff wie am Anfang - hier wird gnadenlos pauschalisiert. Und was meint Herr Giordano hier mit sozialtherapeutischen Maßnahmen? Und welche Maßnahmen stellt er sich denn so vor? Den einen oder anderen Verdacht habe ich hier ja bereits geäußert.
- (Postsciptum): Herr Giordano schlägt statt Kopftüchern für die Frauen Handschellen für die Männer vor. Alle muslimischen Männer in Deutschland in Handschellen. Ist das ernsthaft sein Beitrag zu Integrationsdebatte. Fangen wir doch erstmal mit einer Armbinde mit Halbmond darauf und einem Stempel im Pass an - wie wäre das?
Nun, ich denke, mein ursprüngliches Vorhaben ist mir gelungen. So weit ich das sehe ist keine einzige stichhaltige Ausage von Herrn Giordano übriggeblieben. Wenn man so liest, was ich über Hernn Giordanos Ansichten zu sagen habe, könnte man meinen, ich möchte ihn in eine rechtsradikale Schublade stecken. Das ist nicht meine Absicht und erscheint aufgrund seiner Biograpfie auch absurd. Umso Absurder jedoch - eben aufgrund seiner Biograrfie - das ihm dies wiederholt wiederfahren ist. In jüngeren Jahren noch überzeugter Kommunist und für den Zentralrat der Juden aktiv - später unzweifelhaft eine moralische Instanz in Deutschland - hat er sich nun offensichtlich in der Islamfrage derart verrannt, dass er zu einer vernünftigen Debatte nicht mehr fähig scheint. Ein wahrhaft trauriger Fall von Altersstarrsinn.
Und diese Nähe zum Rechtsradikalismus ist keinesfalls zufällig. Denn vielen ist es nicht bewusst, aber der moderne Rechtsradikalsimus hat nichts mehr zu tun mit den Anti-jüdischen Parolen des 3. Reichs. Der heutige Feind der Rechtsradikalen ist erklährtermassen der Islam, was paradoxer Weise sogar zu einer Unterstützung des Staates Israel und seiner Palästinenser-Politik geführt hat. Kein Zweifel, es gibt sogar rechtsradikale Juden die offensichtlich ebenso wenig in der Lage sind, aus der Vergangenheit zu lernen wie Angehörige anderer Nationen und Völker.